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Story 16.09.2017

Vom Leben in der Filterblase

Wann hast du das letzte Mal jemanden getroffen, der gänzlich anderer Meinung zu einem politischen Thema war als du selbst? Im Alltag ignorieren wir andere Meinungen und im Netz bestimmen Algorithmen, dass wir von anderen Meinungen nichts mitbekommen. Das mag in vielen Fällen unproblematisch sein. Doch was geschieht, wenn Filterblasen gezielt für Desinformationskampagnen und rechtspopulistische Propaganda genutzt wird?

Neulich habe ich meine alte Schulkameradin Anna wiedergetroffen. Wir hatten seit dem Abitur kaum Kontakt. Als wir uns nun bei einem Kaffee gegenüber saßen, sprudelte es aus ihr heraus: “Ach, es ist alles so düster derzeit. Die Amerikaner haben Europa voll im Griff, wogegen die nächste GroKo ja auch wieder nichts machen wird. Die sind ja eh alle gekauft. Merkel lädt weiter schön Flüchtlinge zu uns ein und die anderen Staaten nehmen keine auf. Warum müssen die denn alle zu uns kommen?”

Ich wollte schon einhaken, da ging es weiter: “Klar fliehen die, wenn die sehen, wie gut wir es hier haben. Oder hatten. Aber die müssen woanders hin, wo sie besser hinpassen. Der Islam ist einfach zu fremd für unsere Kultur.”

Ich war überrascht

So düster sieht es in Deutschland doch gar nicht aus? Und woher kamen diese verkürzten Aussagen? Ich hätte bis dahin nie gedacht, dass Anna einmal den Rechtspopulisten auf den Leim gehen würde.

Ich dachte in den folgenden Tagen über mein Umfeld nach, die Nachrichten, die ich bekomme, meine Informationsquellen, mein Facebook-Newsfeed. Mich erreichen offensichtlich andere Informationen als Anna. Wir lesen unterschiedliche Zeitungen, hören unterschiedliche Radiosender, lesen unterschiedliche Blogs, haben unterschiedliche Freunde – und überdies generieren uns Facebook und Google unterschiedliche „News“ basierend auf unseren unterschiedlichen Interessen. Kurz: Wir leben in unterschiedlichen Filterblasen.

Der Begriff “Filterblase” geht auf Eli Pariser zurück, den Internetaktivisten und Aufsichtsratsvorsitzenden von moveon.org. Pariser verwendet den Begriff im Zusammenhang mit digitalen Räumen, in denen den Nutzer*innen vorrangig Inhalte präsentieren, die ihren bestehenden Interessen entsprechen und damit ihre Einstellungen dazu verstärken.

Filterblasen - ein bekanntes Phänomen

Zu den meisten unserer Überzeugungen sind wir nicht durch direkte Wahrnehmung gelangt. Wir glauben, was wir glauben, weil es uns Experten, Medien oder unsere Freunde und Verwandte mitgeteilt haben. Was wir glauben, hängt davon ab, von welchen Personen wir unsere Informationen beziehen und wie glaubwürdig diese in unseren Augen sind.

Wie können wir Filterblasen durchbrechen?

Das größte Hindernis sind wir selbst.

In aller Regel wollen wir gar nicht mit Informationen konfrontiert werden, die unseren bereits bestehenden Meinungen widersprechen. Werden wir doch damit konfrontiert, nehmen wir sie meistens nicht wahr oder finden Gründe, sie abzulehnen.

Es bereitet uns ein unangenehmes Gefühl, uns mit Positionen zu beschäftigen, die nicht unsere eigenen sind. Man spricht dabei auch vom Bestätigungsfehler (confirmation bias). Wir vermeiden kognitive Dissonanz, indem wir selektiv wahrnehmen, was wir wahrnehmen wollen.

Deswegen reden wir normalerweise auch kaum mit Menschen, die wir nicht mögen und die andere politische Meinungen haben als wir selbst.

Wir wählen unseren Stammtisch, unsere Freunde und unser Umfeld allgemein nach dem Kriterium der Ähnlichkeit aus. Wir finden diejenigen sympathisch, die Gemeinsamkeiten – Interessen, Meinungen oder auch reine Äußerlichkeiten – mit uns teilen.

Das Problem dabei ist, dass wir nicht immer richtig liegen und dass Menschen mit anderen Interessen, Meinungen, Redeweisen oder einem anderen Kleidungsstil oft relevante Informationen für uns besitzen, von denen wir nichts mitbekommen.

Wir bewegen uns alle in Filterblasen.

Es beginnt damit, dass wir uns eher Menschen als Freunde suchen, die unsere Einstellungen teilen, und endet damit, dass Facebook und Google uns nur die Inhalte zeigen, die unseren bisherigen Interessen und Meinungen entsprechen. Zusätzlich abonnieren wir nur Newsletter von uns nahen Organisationen, lesen Zeitungen mit unserer politischen Ausrichtung und vermeiden Infoveranstaltungen von Parteien, die wir ohnehin nicht wählen würden.

Mit dem Aufkommen von personalisierten digitalen Medien entstehen Filterblasen schneller, werden undurchlässiger und einseitiger. Aber was ist so schlimm daran, dass Youtube mir immer zuerst Katzenvideos zeigt, weil es gelernt hat, dass ich darauf am ehesten mit Klicks reagiere?

Das Problem

Informationsverbreitung in den digitalen Medien ist zumeist fremdbestimmt und hochgradig automatisiert. Wir haben kaum Kontrolle darüber, welche Nachrichten und Suchergebnisse uns von Facebook und Google angezeigt werden.

Richtig problematisch werden Filterblasen, wenn sie gezielt ausgenutzt werden, um Menschen zu beeinflussen. Denn Filterblasen spielen eine essentielle Rolle bei der Verbreitung von Fake News. Wenn alle meine Freunde eine Nachricht für wahr halten, dann habe ich bereits einen guten Grund, diese Nachricht ebenfalls für wahr zu halten. Dies nennt man auch den Konformitätseffekt. Filterblasen können also verhindern, dass Falschmeldungen korrigiert werden.

Filterblasen können damit zu einer Gefahr für demokratische Meinungs- und Entscheidungsprozesse werden. Denn Demokratie lebt davon, dass Menschen unterschiedlicher Meinung Gehör finden und trotz Meinungsverschiedenheiten kooperieren.

Dies wird durch Filterblasen jedoch erschwert. Es ist nicht nur so, dass Menschen mit unterschiedlichen Meinungen einander nicht hören, sondern die Meinungen, die sie haben, radikalisieren sich durch Filterblasen noch. Dies nennt man auch Gruppen-Polarisation.

Ein eindrückliches Beispiel für die negativen Folgen von Filterblasen sind die Facebook-Gruppen, die durch eine Aktion der PARTEI aufgedeckt worden sind. Diese Filterblasen sind künstlich erzeugt und verstärkt worden (vgl. diesen heise-Artikel).

Das perfide: Auch wenn man als Mitglied dieser Gruppen nicht aktiv war, reichen die Facebook-Algorithmen aus, dass man zunehmend rechtspopulistischen Inhalten ausgesetzt wird. Dies ist selbst dann der Fall, wenn man nur einige wenige AfD-kompatible Meinungen im Vorfeld hatte.

Was können wir aber tun, um Filterblasen zu durchbrechen? Online können wir relativ einfach ein paar Einstellungen ändern, um weniger maßgeschneiderte Informationen zu bekommen:

  • Wir können auf Facebook unsere Newsfeed-Einstellungen ändern und ein paar Seiten (von Zeitungen oder Nachrichtensendungen zum Beispiel) abonnieren, deren Ausrichtung wir nicht teilen.
  • Wir können die Google-Einstellungen ändern, damit uns Suchergebnisse nicht in Abhängigkeit zu unseren bisherigen Suchanfragen und unserem Standort angezeigt werden.
  • Allgemein können wir Informationen hinterfragen, die unsere Überzeugungen und Vorurteile bestätigen. Gerade Nachrichten, die nur allzu gut in unser Weltbild passen, verdienen besondere Skepsis und Aufmerksamkeit.
  • Und wir können natürlich aktiv online und im echten Leben Kontakt mit Andersdenkenden suchen.

Wir alle können andere Standpunkte nachvollziehen, ohne sie zwangsläufig teilen zu müssen. Nur wenn wir uns gegenseitig zuhören und konstruktiv streiten können wir Filterblasen mit Radikaler Höflichkeit durchbrechen. Das ist auch der Grund warum wir uns bei Kleiner Fünf engagieren.

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Demokratie ist eine verzwickte Sache. Sie erfordert Kompromisse, eine gesunde Streitkultur mit radikaler Höflichkeit und die Fähigkeit, einander zuzuhören. Aus diesem Grund engagieren wir uns ehrenamtlich für K5. Doch davon alleine lassen sich leider keine Zugtickets bezahlen, Plakate drucken oder Räume mieten. Aus diesem Grund freuen wir uns über jede Spende - egal in welcher Höhe. Jeder Euro hilft.

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Dieser Blog-Artikel hätte ohne die tatkräftige Unterstützung und Mitwirkung von Frederik Gottschling und Johannes nicht verwirklicht werden können.