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Analyse 25.04.2017

Kleine Wahlanalyse der französischen Präsidentschaftswahlen

Auch in Frankreich ist Rechtspopulismus eine große Gefahr. Aktuell heizt Marine Le Pen bestehende gesellschaftliche Spannungen an, um in den Elysée-Palast einzuziehen. Das gemeinsam zu verhindern, ist Aufgabe aller Demokraten – über politische Lager hinweg und allen Vorbehalten zum Trotz. Ein Beitrag von Daniel Fouchard, der in Freiburg und Aix-en-Provence studiert

Frankreich hat gewählt: Knapp 48 Millionen Franzosen waren am vergangenen Sonntag dazu aufgerufen, den Nachfolger von Francois Hollande zu bestimmen. Bei einer Wahlbeteiligung von 77 Prozent qualifizierten sich Emmanuel Macron mit rund 24 und Marine Le Pen mit 21,3 Prozent der Stimmen für die Stichwahl. Während Macron der Parteienbewegung En Marche vorsteht, die sich „weder links noch rechts sieht“, vertritt Le Pen den rechtspopulistischen Front National (FN). Dahinter landeten der wirtschaftsliberale Konservative Francois Fillon (Les Républicains) mit 20 und der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon von der Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ mit 19,5 Prozent der Stimmen. Sozialist Benoît Hamon, Teil der innerparteilichen Opposition der Parti Socialiste gegen den wirtschaftspolitischen Kurs Hollandes, landete mit 6,36 Prozent abgeschlagen auf Platz fünf.

Eine historische Zäsur

Zum ersten Mal in der Geschichte der V. Republik befinden sich damit weder ein Konservativer noch ein Sozialist in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen. Angesichts der in Frankreich stark ausgeprägten Spaltung zwischen links und rechts stellt das eine absolut neue Situation dar. Es zeigt sich, dass viele WählerInnen mit Konservativen und Sozialisten unzufrieden sind, nicht zuletzt angesichts von Korruptionsskandalen bei beiden Parteien: Der republikanische Kandidat Fillon wird beispielsweise nicht nur verdächtigt, seine Frau über 30 Jahre hinweg als parlamentarische Assistentin scheinbeschäftigt zu haben. Auch soll er parallel zu seiner Tätigkeit als Premierminister (2007-2012) sechsstellige Beträge von französischen Versicherungsgruppen für die von ihm gegründete Beraterfirma kassiert haben. Bei den Sozialisten gab es zu Beginn der Regierungszeit Hollandes einen ähnlich großen Skandal: Ausgerechnet Finanzminister Cahuzac wurde der Steuerhinterziehung überführt.

Vor diesem Hintergrund kann Marine Le Pen über eine ihr zufolge „korrupte Politelite“ lospoltern – obwohl auch Le Pen verdächtigt wird, Parteikader im EU-Parlament scheinbeschäftigt zu haben. Emmanuel Macron kann sich seinerseits als parteiübergreifender, junger Newcomer präsentieren: Gleichwohl scheint seine Popularität paradox. Schließlich war Macron als wirtschaftlicher Berater und Minister maßgeblich für die Wirtschaftspolitik unter Francois Hollande verantwortlich, dem unpopulärsten Präsidenten der V. Republik.

Das Wahlverhalten junger Menschen

Insbesondere junge Menschen sind anfällig für radikalere Positionen – angesichts von 23,6 Prozent Jugendarbeitslosigkeit vielleicht keine Überraschung (Eurostat, Februar 2017). Dieser Wert ist der fünfthöchste innerhalb der EU (zum Vergleich: Deutschland 6,6 und Griechenland 48 Prozent im Januar 2017). Hinzu kommt die Angst vor fehlenden Zukunftsperspektiven.

30 Prozent der 18-24-Jährigen wählten beispielsweise den Linksaußen Jean-Luc Mélenchon. Dessen Forderungen umfassen die Errichtung einer neuen Verfassung, eine Erhöhung des Mindestlohns, die Rückkehr zur Rente mit 60, die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energie sowie die Neuverhandlung des EU-Stabilitätspakts. Marine Le Pen ihrerseits konnte knapp ein Fünftel der jungen Leute für sich gewinnen, schnitt bei ihnen aber etwas schlechter als in anderen Altersgruppen ab.

Letztendlich ziehen also Emmanuel Macron und Marine Le Pen in die zweite Runde ein, die am 7. Mai abgehalten wird. Während sich zahlreiche ausgeschiedene Kandidaten (darunter der Konservative Fillon und der Sozialist Hamon) bereits eindeutig für Macron ausgesprochen haben, zögerte Mélenchon zunächst, sich klar zu äußern. Er verwies darauf, dass die für seine Kandidatur notwendigen Stimmpaten, ihm noch kein klares Mandat erteilt hätten. Einerseits ist davon auszugehen, dass ihm die wirtschaftliche Politik Macrons alles andere als behagt. Denn für Mélenchon steht Macron für ein eine neoliberale Politik, die beispielsweise Sonntagsarbeit erleichtern sowie Unternehmen in Milliardenhöhe von Sozialabgaben „entlasten“ soll. Andererseits forderte Mélenchon bereits 2002 angesichts der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac gegen Marine Le Pens Vater und rechtsextremen Parteigründer Jean-Marie Le Pen zu wählen. Linksgerichtete Menschen, so argumentierte er damals, sollten mit ihren Stimmen „Demokratie und Republik“ verteidigen. Drei Tage nach dem ersten Wahlgang rief denn auch Mélenchons Sprecher dazu auf, auf keinen Fall für Le Pen zu stimmen.

Marine Le Pens sicherheitspolitischer und antieuropäischer Diskurs

Marine Le Pens Bekenntnisse sind hingegen sehr deutlich: Sie möchte Frankreich „seine Souveränität wiedergeben“ und strebt daher ein Referendum über den Austritt aus der EU an. Das würde Frankreichs politische Stellung international schwächen und die Zusammenarbeit mit den angrenzenden Staaten erheblich erschweren. Sicherheitspolitisch spricht sie sich indes dafür aus, die Banlieues der Großstädte zu „entwaffnen“ und die „5000 Bandenchefs“ zu inhaftieren. Dabei handelt es sich jedoch um eine typisch rechtspopulistische Aussage und Stimmungsmache gegen die Bewohner der ärmeren Stadteile: Denn weder wird es eine so runde Zahl an Bandenchefs geben. Noch sind deshalb alle anderen Menschen kriminell.

Doch der FN gibt den Bewohner der Banlieues alleine die Schuld an der Situation, indem er sie pauschal als No-Go-Zonen und Banditen bezeichnet. Darüber hinaus sollen straffällig gewordene Ausländer automatisch abgeschoben und damit doppelt bestraft werden (im Widerspruch zum Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, s. auch hier: https://www.kleinerfuenf.de/de/grundrechte). Marine Le Pen fordert außerdem einen Austritt aus dem Schengen-Abkommen und dadurch die Einführung von Grenzkontrollen. Diese würden Grenzübergänge nach Luxemburg, Belgien, Deutschland oder Spanien stark erschweren, den Handel und Tourismus behindern und den Alltag vieler im Ausland tätigen Franzosen stark einschränken. In diesem Zusammenhang ist es besonders unverständlich, dass Marine Le Pen beispielsweise in der grenznahen Region Grand-Est (nahe an Deutschland und Luxemburg) die stärkste Kraft wurde.

Ansonsten gilt die Parole: France first. Auffallend oft werden Maßnahmen ausschließlich für Franzosen vorgeschlagen. Beispielsweise fordert Le Pen, dass alle öffentlichen Gebäude die europäische Flagge nicht mehr hissen sollen, sondern nur noch die französische.

Klare soziale Spaltung zwischen den beiden Kandidaten

Für den zweiten Wahlgang gibt es daher offenbar eine klare Tendenz: Eine der Globalisierung eher positiv gegenüberstehende, wirtschaftlich eher besser stehende Seite (vertreten durch Macron). Und eine andere Seite, die sich vor der Globalisierung fürchtet und wirtschaftlich deutlich schlechter dasteht (vertreten durch Le Pen). Laut einer Umfrage von Ipsos verfügen 32 Prozent der WählerInnen von Marine Le Pen über ein Einkommen von weniger als 1500€ im Monat, während dem gegenüber nur 14 Prozent der WählerInnen Macrons über ein derartiges Einkommen verfügen. Andererseits verdienen etwa 33 Prozent der WählerInnen von Macron mehr als 3000 Euro im Monat, dies sind bei Le Pen ihrerseits nur 15 Prozent. Diese große (und größer werdende) Spaltung muss beachtet werden.

Ein Wahlsieg Le Pens würde all diese Probleme nur verschärfen: Bei einem EU-Austritt und der Einführung von Grenzkontrollen würden höchstwahrscheinlich einige Unternehmen das Land verlassen und dadurch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Der Handel und grenzüberschreitende Austausch würde angesichts der vielen Einschränkungen ebenfalls stark einbüßen. Frankreichs Stellung in der internationalen Politik wäre stark angekratzt und das soziale Klima mit zunehmendem Hass und einer größer werdenden Ausgrenzung von Minderheiten und Menschen mit ausländischen Wurzeln immer stärker vergiftet. Auch in Frankreich gibt es daher viel zu verlieren, wenn RechtspopulistInnen gewinnen.

Die Glaubwürdigkeit Le Pens darf überdies in einigen Punkten angezweifelt werden. Sie gibt sich als „Vorkämpferin für Frauenrechte“ und beschwört in erster Linie, die von muslimischen Einwanderern angeblich auszugehende „Gefahr“. Ein Blick auf ihr Wahlverhalten im EU-Parlament zeigt aber: So stimmte sie gegen den im Jahr 2016 aktualisierten EU-Aktionsplan über die Emanzipation der Freiheit und die Gleichheit der Geschlechter im Rahmen von Kooperation und Entwicklung. Auch stimmte sie gegen die Resolution vom 19. Januar 2016, die diskriminierenden Faktoren gegenüber Unternehmerinnen auflösen und ausgleichen wollte. Darüber hinaus scheint es Marine Le Pen auch mit ihrer ständig propagierten Schließung der Grenzen nicht allzu genau zu nehmen: Sie schwänzte beispielsweise die Abstimmung vom 16. Februar 2017, wo das EU-Parlament mehrheitlich die obligatorische Passkontrolle an den EU-Außengrenzen verpflichtend verabschiedete.

Es sollte auch nicht vergessen werden, aus welcher Familie sie stammt: Ihr Vater und FN-Parteigründer Jean-Marie hat 40 Jahre lang rassistischen, antisemitischen, homophoben und antimuslimischen Hass in die französische Gesellschaft gestreut – wovon Marine nun profitieren will. Jean-Marie Le Pen gab in zahlreichen Aussagen bekannt, dass er „an die Ungleichheit der Rassen“ glaube. Ebenso nannte er mehrfach den Holocaust „ein Detail der Geschichte“, wofür er bereits mehrmals verurteilt und auch aus dem FN ausgeschlossen wurde. Dennoch unterstützte er die aktuelle Wahlkampagne über eine Leihe von 6 Millionen Euro. Als „Frau des Volkes“ kann sich Marine daher nur unter großem Vorbehalt inszenieren.

Gemeinsame Herausforderung

Selbst jene WählerInnen, die Macron skeptisch gegenüber eingestellt sind, müssen daher anerkennen, dass mit Marine Le Pen als Präsidentin irreparable außenpolitische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme entstehen könnten. Letzte Umfragen geben jedoch für die zweite Wahlrunde Hoffnung: 63 Prozent der Befragten gaben an, für Macron stimmen zu wollen. Darauf verlassen sollte man sich aber keinesfalls: Es liegt deshalb nun an Macron selbst, die ihm gegenüber skeptisch eingestellten WählerInnen zu überzeugen. Er darf sich dabei nicht nur auf die Wahlaufrufe zu seinen Gunsten verlassen. Viele linksgerichtete WählerInnen stehen ihm aufgrund seiner inhaltlich sehr vagen Kampagne und liberalen Wirtschaftspolitik sehr skeptisch gegenüber, was dazu führen könnte, sich der Stimme zu enthalten. Dies würde den Front National stärken, welcher über ein politisch sehr unzufriedenes Wählerpotenzial in weiten Teilen der Bevölkerung verfügt. Die Chancen stehen gut für Macron, doch wird er sich letztendlich wirklich durchsetzen? Die Antwort dazu wird am 7. Mai gegeben.