Kampf um Familien- und Geschlechterpolitik: Rechte Gruppen und ihre Strategien
Über die strategische Besetzung der Geschlechter- und Familienpolitik durch rechtsextreme Gruppen. Eine Analyse von Julia Uebelacker.
Die Debatte über Familien- und Geschlechterpolitik hat in den letzten Jahren eine zentrale Rolle in gesellschaftlichen Diskussionen eingenommen. Themen wie Gender, Geschlechtsidentität, Gleichberechtigung und sexuelle Vielfalt stehen im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung, die längst über nationale Grenzen hinausreicht. Dabei zeichnet sich ein alarmierender Trend ab: Während in Europa restriktive Gesetze erlassen werden, die gezielt die Sichtbarkeit queerer Lebensrealitäten einschränken und die Grundlagen von Gleichberechtigung und individueller Freiheit in Frage stellen, setzen radikalisierte politische Strömungen in den USA Gesetzesinitiativen in Gang, die die Grundrechte der LGBTIQ*-Community, insbesondere von trans*Menschen, zunehmend untergraben. Diese Maßnahmen beschränken sich nicht nur auf restriktive Regelungen gegenüber Drag-Performances und Bücherverbote, sondern schüren auch Verschwörungsnarrative, die Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzen.
Auch in Deutschland wurde die Diskussion rund um das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) jüngst zum Anlass für kontroverse Debatten über Geschlechtsidentität, die in Teilen der Gesellschaft mit einer Verneinung der Rechte von trans* Menschen einhergingen. Diese Entwicklungen sind dabei nur einige Beispiele eines weltweiten Trends, der die Grundfesten unserer Demokratie zu erschüttern droht. Doch was steckt hinter diesen Gesetzesinitiativen? Und warum stehen gerade familien- und geschlechterpolitische Themen in letzter Zeit so stark im Fokus gesellschaftlicher Diskussionen?
Der Einfluss rechtsextremer Gruppen und der Anti-Gender-Diskurs
Ein entscheidender Faktor für diese Entwicklung ist die strategische Besetzung dieser Themen durch rechtsextreme Gruppen. Indem sie sich auf die Geschlechter- und Familienpolitik konzentrieren, versuchen sie, eine breitere Unterstützung in der Gesellschaft zu gewinnen und ihren Einfluss auszuweiten. Dabei tarnen sie ihre rechtsextremen Positionen geschickt unter dem Deckmantel der Verteidigung traditioneller Werte wie der Kernfamilie (Vater, Mutter, Kind) und dem vermeintlichen Schutz von Kindern.
Mit dem sogenannten Anti-Gender-Diskurs setzen sie auf neue Argumentationslinien, um gesellschaftlich anschlussfähiger zu sein, knüpfen aber nahtlos an einen bewährten Antifeminismus an. Dieser stützt sich auf ein tief verwurzeltes Feindbild, das weit weniger menschenfeindlich wahrgenommen wird als etwa Rassismus oder Antisemitismus. Insofern fallen antifeministische Äußerungen meist auf fruchtbaren Boden und ermöglichen es rechtsextremen Akteur*innen, den globalen Diskurs zu beeinflussen und ihr Gedankengut zu verbreiten. So überrascht es nicht, dass sich unter diesem gemeinsamen Feindbild eine Vielzahl unterschiedlicher Bewegungen vereint, darunter nicht nur rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch rechtspopulistische Parteien, christlich-fundamentalistische Organisationen sowie Vertreter*innen aus bürgerlich-konservativen oder liberalen Milieus.
Die Bekämpfung einer angeblichen „Gender-Ideologie“ fungiert als oberflächlicher Sammelpunkt für ganz verschiedene politische Zielsetzungen. Der Begriff ist damit mehr eine freie Projektionsfläche für Antifeminismus und Homo- und Transfeindlichkeit, schöpft jedoch auch aus rassistischen, antisemitischen und völkischen Ideen sowie Elitenfeindlichkeit.
Die Kernargumente der extremen Rechten und ihre Auswirkungen
Im Kern baut die extreme Rechte auf die Verteidigung rigider Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und die Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie. Diese ist wiederum eng an Heterosexualität als gesellschaftliche Norm und ein binäres Geschlechtersystem (Mann - Frau) geknüpft. Die Legitimation dafür erfolgt in der Regel durch Verweise auf die "Natürlichkeit" dieser Strukturen, gestützt durch religiöse Überzeugungen wie die Schöpfungsgeschichte oder durch die Betonung der Fortpflanzung als Notwendigkeit. Langfristig zielt dieser Diskurs darauf ab, die rechte Idee einer "natürlichen Ungleichheit" zwischen Menschen in einem demokratischen Rahmen zu legitimieren – eine Vorstellung, die historisch etwa durch rassenbiologische Konzepte untermauert wurde.
In diesem Zusammenhang schafft der Diskurs ein umfassendes Feindbild und greift grundlegende demokratische Prinzipien wie Gleichberechtigung, Minderheitenschutz und Antidiskriminierung an. Die Erfolge des Feminismus und der LGBTIQ*-Bewegung werden kontinuierlich in Frage gestellt, was deren gesellschaftliche Akzeptanz untergräbt, und schwerwiegende politische Auswirkungen haben kann, wie es beispielsweise die Aufhebung des nationalen Abtreibungsrechts in den USA verdeutlicht. Durch die Verbreitung von Unwahrheiten, Parolen und Hetze schaffen rechtsextreme Gruppen eine Atmosphäre der Angst und des Hasses und fördern Gewalt und Diskriminierung speziell gegen Mitglieder der LGBTIQ*-Community (siehe BMFSFJ).
An dieser Stelle ist wichtig anzuerkennen, dass genderkritische Positionen meist auf Unwissenheit, Vorurteilen und Missverständnissen über Geschlechterfragen beruhen. Unsere Sozialisation prägt uns mit klaren und vereinfachten Konzepten, was es vielen Menschen erschwert, sich von diesen Vorstellungen zu lösen. Gleichzeitig ist es menschlich, (Andere) in Kategorien einzuteilen, um unsere soziale Welt zu strukturieren. Um gemeinsam für mehr Akzeptanz einzustehen, ist es von großer Bedeutung, Informationen, Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten. Dies fördert ein tieferes Verständnis für Gleichheit und Vielfalt im Kontext von Geschlechterfragen und trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen.
Hier erklären wir euch, wie ihr einigen weit verbreiteten Argumenten von Genderkritiker*innen informiert begegnen könnt.
Quellen:
Greig, Alan (2020): Masculinities and the far-right: Implications for Oxfam’s work on gender justice. Verfügbar unter: https://www.oxfamamerica.org/explore/research-publications/masculinities-and-the-far-right, zuletzt aufgerufen am 01.12.2023.
Kaiser, Susanne (2020): Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag.
Lang, Juliane (2015): Familie und Vaterland in der Krise. Der extrem rechte Diskurs um Gender. Sabine Hark,Paula-Irene Villa (Hrsg.): Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, S. 167-181.
Mayer, Stefanie (2021): Anti-Gender-Diskurse – vom ›gesunden Menschenverstand‹ zur ›Politik mit der Angst‹. In: Sonja A. Strube, Rita Perintfalvi, Raphaela Hemet, Miriam Metze, Cicek Sahbaz (Hrsg.): Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Mobilisierung - Vernetzung – Transformation. Bielefeld: transcript, S. 35-50.
Mayer, Stefanie; Ajanovic, Edma; Sauer, Birgit (2018): Geschlecht als Natur und das Ende der Gleichheit. Rechte Angriffe auf Gender als Element autoritärer politischer Konzepte. In: Femina Politica, 27 (1), S. 47-61. https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v27i1.05
Sauer, Birgit (2019): Anti-feministische Mobilisierung in Europa. Kampf um eine neue politische Hegemonie?. In: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, 13 (3), S. 339–352. https://doi.org/10.1007/s12286-019-00430-8
Schutzbach, Franziska (2019): Antifeminismus macht rechte Positionen gesellschaftsfähig. Verfügbar unter: https://www.gwi-boell.de/de/2019/05/03/antifeminismus-macht-rechte-positionen-gesellschaftsfaehig, zuletzt aufgerufen am 29.11.2023.
Strube, Sonja A. (2021): Anti-Genderismus als rechtsintellektuelle Strategie und als Symptom-Konglomerat Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. In: Sonja A. Strube, Rita Perintfalvi, Raphaela Hemet, Miriam Metze, Cicek Sahbaz (Hrsg.): Anti- Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Mobilisierung - Vernetzung – Transformation. Bielefeld: transcript, S. 51-64.
Wittenius, Marie; Lange, Katrin (2022): Die transnationale Anti-Gender-Bewegung in Europa. Verfügbar unter: https://www.gwi-boell.de/de/2022/02/03/die-transnationale-anti-gender-bewegung-europa, zuletzt aufgerufen am 29.11.2023.